Das römische Legionslager in Anreppen

Artikel vom Januar 2000

Grabungsleiter Dr. Kühlborn ist sich sicher: Der spätere Kaiser Tiberius lebte in Anreppen.

Grabungsperiode wurde beendet.

Daran, dass der spätere Kaiser Tiberius in Anreppen lebte, hat der Grabungsleiter Dr. Sebastian Kühlborn keinen Zweifel. Der ansonsten in seinem Urteil sehr vorsichtige Archäologe schließt dies aus der ungewöhnlichen Größe eines Gebäudekomplexes im Zentrum des Lagers. Es erfüllte höhere Wohnansprüche und war für eine bedeutende Persönlichkeit bestimmt.. “Nach Lage der Dinge, kann es nur für den Oberkommandierenden der römischen Streitkräfte in Germanien gebaut worden sein. Und das war zu dem Zeitpunkt, als das Lager gebaut wurde, der Adoptivsohn des Kaisers Augustus, Tiberius.”

In der jüngsten Grabungsperiode, die am 15. November endete, stand aber nicht das Zentrum des Lagers im Mittelpunkt des Interesses. Die Grabung konzentrierte sich auf den östlichen Teil des Lagers. Hier hat einst ein riesiges Speichergebäude gestanden. 20 Grabungshelfer, vier Zeichner und ein Grabungstechniker hatten ein Jahr lang unter der Leitung des Archäologen Dr. Kühlborn nach fast 2000 Jahre alten Spuren der Römer gesucht..

Das Lager war 1967 durch den zufälligen Fund römischer Keramik entdeckt worden. In den ersten Jahren wurden durch den inzwischen verstorbenen Anton Doms die Lagergrenzen ergraben. Das Lager hatte die Form eines Ovals mit ca. 750 m Länge und 330 m Breite und beanspruchte eine Fläche von 23 ha. Die Umwehrung bestand aus einer etwa 3m breiten Holz-Erde-Mauer und eine 6 m breiten und über 2 m tiefen Spitzgraben. Man ist sich heute sicher, dass es im 1. Jahrzehnt unserer Zeitrechung entstanden ist und vermutlich im Zusammenhang mit der Varusschlacht aufgegeben wurde.

Anreppen ein Legionslager

Durch die Grabungen der letzten Jahre haben die Fachleute inzwischen auch eine Vorstellung, wie es innerhalb des Lagers aussah. So können Straßenverläufe rekonstruiert werden und man weiß wo die Mannschaftsunterkünfte waren. Der zweifellos wichtigste Fund ist aber das Praetorium im Zentrum des Lagers und die angrenzenden Gebäude. Aus der Anlage und Struktur das Lagers kann als sicher geschlossen werden, dass in Anreppen eine römische Legion stationiert war.

Das Fundmaterial

5.000 bis 8.000 Soldaten waren in dem Lager untergebracht. Die Spuren, die die Fachleute heute von ihnen finden sind für den Laien wenig spektakulär. Anhand von Bodenverfärbungen erkennen die Archäologen, wo Gebäude oder Wehranlagen gestanden haben. Und sie finden das, was die Soldaten weggeworfen oder verloren haben. Größere Mengen Keramik, gelegentlich eine Fibel oder Münze, in diesem Jahr einen zerbrochenen Schwertgriff. Nur ganz selten stoßen die Ausgräber auf besondere Stücke, wie eine in Anreppen gefundene kleine Terrakotta-Figur.

Anhand des Fundmaterials kann aber die Datierung des Lagers vorgenommen werden und Archäologen und Historiker bekommen eine Vorstellung davon, wie das Leben im Lager ausgesehen haben kann und wie die Logistik für eine solche Streitmacht aussah. Welche Waren aus dem gesamten römischen Reich zur Versorgung der Truppen herbeigeschafft wurden.

Anreppen nicht das östlichste Lager

Dabei spielte sicher die Lippe als Versorgungsweg eine wichtige Rolle. Ein Großteil der Transporte wird aber über eine breite Römerstraße erfolgt sein. Sie führte im Süden am Lager vorbei. Da inzwischen deutlich geworden ist, dass sich diese Römerstraße Richtung Osten fortsetzt, ist sich Kühlborn sicher, dass Anreppen nicht das östlichste Lager war. Es muss noch mindestens ein weiteres Lager gegeben haben. Wer weiß ob es je lokalisiert werden kann.

Römer und Germanen

Auch über die Beziehungen zwischen Römern und Germanen während das Lager bestand, können keine Aussagen getroffen werden. Westlich des Lagers sind Siedlungsspuren gefunden worden, die aus der gleichen Zeit stammen. Es handelt sich um Grubenhäuser, sodass es sich um eine germanische Besiedelung handeln muss.

Das Lager im Zusammenhang mit der Varusschlacht

Überhaupt stellt sich natürlich die Frage, welche Rolle das Lager im Zusammenhang mit der Varusschlacht gespielt haben könnte. Dazu gibt es aber keinerlei Aufschlüsse. “Die Varusschlacht ist ja noch nicht einmal sicher lokalisiert”, stellt Kühlborn fest und setzt auch hinter den Fundort Kalkriese bei Osnabrück ein Fragezeichen. Kalkriese war in den letzten Jahren immer der Schlacht im Jahre 9 unserer Zeitrechnung zugeordnet worden. Inzwischen gibt es aber einige Fachleute, die diese Datierung anzweifeln.

Das Varus sich in Anreppen aufgehalten haben könnte und hier sein Hauptlager hatte ist wenig wahrscheinlich. Im Gegensatz zu Haltern, wo insgesamt 18 Münzen mit dem Gegenstempel VAR für Varus gefunden wurden, gibt es in Anreppen keinen solchen Fund. Solche Münzen stammen aus Geldgeschenken die der Statthalter in Germanien an seine Soldaten verteilen ließ.

Kühlborn vermutet aber, dass das Lager in Anreppen im Zusammenhang mit der Varusschlacht aufgegeben wurde. Hinweise auf Kampfhandlungen gibt es keine. Dass das Lager in Flammen aufging ist zwar sicher, doch entspricht dies dem üblichen Verfahren römischer Truppen. Ein solches Lager war eine Festung, die natürlich nicht dem Feind überlassen wurde. Sie wurde beim Abzug der Truppen zerstört.

Grabungen sollen fortgesetzt werden

Noch zwei oder drei Jahre sollen die Grabungen fortgesetzt werden. Dies wird jedoch nur möglich sein, wenn das Arbeitsamt die erforderlichen ABM-Stellen für Grabungshelfer und Zeichner bereit stellt. Die Chancen dafür stehen aber nicht schlecht, sodass im nächsten Frühjahr eine neue Grabungsperiode beginnen könnte. Da mit jeder Grabung das ergrabene Bodendenkmal aber zerstört wird, sollen die Grabungen nicht immer weiter fortgeführt werden. “In zwei, drei Jahren ist Schluss, dann soll das Gelände nicht weiter ergraben werden.”, stellt Kühlborn fest.

a_buch03
Mein Literaturtipp:

Kühlborn, Johann-Sebastian: Germaniam pacavi – Germanien habe ich befriedet. Archäologische Stätten augusteischer Okkupation, Münster 1995. Das Buch kann natürlich nicht die jüngsten Grabungen berücksichtigen, gibt aber einen hervorragenden Überblick.Es ist leider im Buchhandel nicht mehr erhältlich.

Funki Köllners Homepage