Sudhagen

Zur Siedlungsgeschichte des Dorfes bis zur Auflösung des Hochstifts Paderborn

von Manfred Köllner

Schenkungen an die Kirche zur Rettung des eigenen Seelenheils waren im Mittelalter sehr verbreitet. So ist es nicht verwunderlich, dass die erste Erwähnung des Dorfes Sudhagen aus einer Schenkungsurkunde stammt. Am 30. November 1390 übergab Johan von Thülen einen Hof an den Rektor des Marienaltares zu Delbrück. Es handelte sich um “de Thulen hove (…), so belegen iß in der Delbrughe up dem Suthagen, de nu tor tit myt heyde bewassen is.”[ 1 ]

Die Altbauern

Hagenhufen
Abb.1 Hagensiedlung mit Hufen aus Balzer, Grundzüge der Siedlungsgeschichte, S. 234.

Auch wenn Sudhagen hier erstmals namentlich erwähnt wird, ist die Siedlung deutlich älter. Es handelt sich um eine Hagensiedlung, eine geplante Rodungssiedlung des Hochmittelalters. Dabei wurde rodungswilligen Bauern Land im Königsforst zugewiesen, das sie roden durften. Als Anreiz unterstanden sie einem besonders freiheitlichen Recht, dem Hagenrecht. Typisch für diese Siedlungsform sind die sogenannten Waldhufen oder Hagenhufen (Abd. 1). Dabei wurden den Siedlern z.B. entlang eines Weges etwa gleichbreite Stücke zugewiesen, von wo aus in den Wald hinein gerodet wurde. Die so entstandenen Streifen, Hufen genannt, konnten unterschiedlich lang sein, je nach Leistungsfähigkeit der rodenden Familie.

Diese Siedlungsstruktur ist anhand von Karten für den ersten Siedlungskern Sudhagens deutlich erkennbar. Die Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt aus den Messtischblättern von 1838, die vom preußischen Militär erstellt wurden. Wie an einer Schnur aufgereiht liegen die alten Vollmeierhöfe der ersten Siedlungsschicht am Rieger Weg. Auch die Hufenform ist im Siedlungsbild noch deutlich erkennbar. Noch deutlicher wird dies in den Urkatasteraufnahmen von 1828, die im Katasteramt in Paderborn einsehbar sind.

sudhagen
Abb. 2 Meierhöfe an der Riege (ohne Ruhmann und Sieding). Messtischblatt aus dem Jahre 1838.

Zu dieser ersten Siedlungsschicht gehören sicher die Höfe Wegescheid, Klüner, Berhorst, Kröning und Rüscher. Vermutlich gehören dazu auch die Höfe Sudholz, Ruhmann und Sieding. Der Hof Hessel dürfte zur gleichen Zeit entstanden zu sein, scheint aber eher als Einzelhof angelegt zu sein.

Um uns der Frage nach dem Alter der Siedlung zu nähern, müssen wir kurz auf das Hagenrecht eingehen.

Da es sich bei der Rodungsarbeit um eine sehr mühsame Tätigkeit handelte und eigentlich erst die nachfolgenden Generationen zu einem bescheidenen Wohlstand kommen konnten, mussten den Hägern besondere Anreize geboten werden.Diese lagen in einer besonderen rechtlichen Privilegierung. Obwohl in der Regel unfrei geboren, erhielten die Häger häufig die persönliche Freiheit. Ob dies auch in Delbrück der Fall war, ist nicht nachzuweisen. Eine rechtlich Besserstellung war jedoch üblich. Häufig erhielten die Häger auch ein eigenes Gericht. Auch wurden sie nur mit geringen Abgaben und Diensten belastet.

  • Wegescheid 42 Morgen
  • Klönner oder Klüner 40 Morgen
  • Berhorst 35 Morgen
  • Kröning 59 Morgen
  • Rüscher 35 Morgen
  • Sudholz 48 Morgen
  • Ruhmann 44 Morgen
  • Sieding 46 Morgen
  • Hessel 37 Morgen
  • Tabelle 1: Sudhäger Altbauern mit Hofgröße nach dem Kataster von 1672

Die älteste Urkunde in Westfalen, die auf eine Rodung nach dem Hagenrecht verweist, stammt vom Paderborner Bischof Evergis aus dem Jahre 1163 für einen Wald bei Herstelle. Da die erste Sudhäger Siedlung ausschließlich mit Vollmeiern besetzt wurde, geht man in der Literatur davon aus, dass diese zu dieser frühen Phase der Hagengründungen in Westfalen gehört (Balzer 1983, S. 259.). Nicht entscheidbar ist die Frage, welche der beiden Hagensiedlungen zuerst besiedelt wurde – Sudhagen durch den Bischof von Paderborn, oder Nordhagen durch den Grafen von Rietberg. Zwischen beiden Siedlungen dürften jedoch nur wenige Jahre liegen. Für die Besiedlung der beiden Delbrücker Hagen in der Mitte des 12. Jahrhundert spricht auch die Tatsache, dass am Ende dieses Jahrhunderts ein Kirchenbau im Delbrücker Land notwendig wurde. Der romanische Kern der Delbrücker Kirche wird allgemein auf ca. 1180 datiert und liegt in der Verlängerung der Altbauernsiedlung. Die Pfarrkirche in Delbrück blieb für Sudhagen das geistliche Zentrum bis zum Bau der St. Elisabeth Kirche 1923/1924.

Wie das Hagenrecht für Sudhagen genau ausgesehen hat, ist nicht bekannt. Eine schriftliche Quelle darüber gibt es nicht. Die besondere Privilegierung scheint aber in späterer Zeit gelegentlich noch durch. Die Besonderheiten des Delbrücker Landrechtes und die besonders freiheitliche Verfassung des Delbrücker Landes, dürften zu einem guten Teil auf das alte Hagenrecht zurückgehen. So hatte das Delbrücker Land eine eigene Gerichtsbarkeit und Delbrücker konnten nicht vor ein auswärtiges Gericht geladen werden. Das Land verwaltete sich durch den Rat des Landes Delbrück weitgehend selbst. Allerdings konnten nur Voll- und Halbmeier, also Altbauern, Mit-glied des Rates werden.

Die zweite Siedlerschicht – die Bardenhauer

Die zweite Siedlerschicht nach den Voll- und Halbmeiern als Altbauern sind im Delbrücker Land die sogenannten Bardenhauer (Viertelmeier). Ihr Name ist Programm, denn sie schlugen sich mit der Barde oder Bohre, einem Handbeil, ein Stück aus dem Gemeinheitsland. Elisabeth Bertelsmeier setzt die Entstehung der Höfe in der Zeit zwischen 1200 und 1450 an. Häufig hatten sie schlechtere Böden. Die Hofstellen selber entstanden häufig in enger Beziehung zu einer Altbauernstätte. Es wurde offensichtlich von dieser Altbauernstätte in die Gemeinheit hineingerodet, um einen neuen Hof zu gründen.

  • Gösten (-meier) 8 Morgen
  • Beckering 17 Morgen
  • Coersmeyer 17 Morgen
  • Wibbemeyer 13 Morgen
  • Rolf (Rolftingsmeyer) 22 Morgen
  • Sandmeyer 24 Morgen
  • Tabelle 2 Sudhäger Bardenhauer nach dem Landkataster von 1672

Die Bardenhauerhöfe waren deutlich kleiner als die Höfe der Altbauern. Die Höfe erreichten jedoch eine Größe, dass in normalen Zeiten der Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft gesichert werden konnte. Im Landkataster von 1672 finden wir sechs Sudhäger Bardenhauerhöfe. Bis auf den Hof Sandmeyer, der dem Domkapitel in Paderborn gehörte, waren alle Eigenbehörige des Fürstbischofs von Paderborn.

Alte und neue Zuläger

Im Delbrücker Land galt das Anerbenrecht, d.h. die Höfe konnten nicht geteilt werden, sondern wurden als ganzer Hof vererbt. Erbe war in der Regel der jüngste Sohn. Fehlten Söhne, erbte die jüngste Tochter. Die älteren Söhne mussten sich eine andere Existenz aufbauen, z.B. indem sie die Anerbin eines anderen Hofes heirateten oder sich als Handwerker im Dorf Delbrück niederließen.. Gelegentlich gelang es aber auch mit der Unterstützung der Familie eine neue Hofstätte zu gründen. Diese entstanden nicht mehr, wie bei den Bardenhauern in direkter räumlicher Beziehung zum Stammhof, sondern als Einzelhof in der Gemeinheit, die auch Mark genannt wurde. Die Altzuläger, das sind die Höfe, die zwischen 1450 und dem Ausbruch des 30-jährigen Krieges entstanden, werden daher auch siedlungsgeschichtlich als “Markkötter” bezeichnet. Neuzuläger werden die Höfe genannt, die nach dem großen Krieg entstanden. Rechtlich gesehen entsprechen die Altzuläger den Achtelmeiern und die Neuzuläger den Sechzehntelmeiern. Die Beziehung zum ursprünglichen Stammhof wird gelegentlich auch durch den Namen deutlich.

So schaffte sich z.B. ein Sohn des Bardenhauers Gösten(meier) names Cord Gösten eine neue Hofstelle in der Mark. Aus Cord Gösten wird Göstecord/ Göstenkors.

Altzuläger

  • Balke oder Balike 12 Morgen
  • Hagenhof 10 Morgen

Neuzuläger

  • Lobbemeyer 1 Morgen
  • Cord Gösten (Göstenkors) 9 Morgen
  • Joist Kölner (Köllner) 5 Morgen
  • Franz Sander 4 Morgen
  • Kniesmeyer 8 Morgen
  • Bories Sieding 12 Morgen
  • Diethrichsmeyer 5 Morgen
  • Ebbert Rüscher 2 Morgen
  • Rhedeker 3/8 Morgen
  • Bories Kniest (Kniesburges) 5 Morgen
  • Tabelle 3: Sudhäger Alt- und Neuzuläger nach dem Landkataster von 1672

Die neu entstandenen Hofstellen waren jedoch meistens zu klein und die Böden zu schlecht, um davon eine Familie zu ernähren. Häufig musste einem Nebenerwerb nachgegangen werden, entweder indem man sich als Tagelöhner bei größeren Bauern verdingte, als Hollandgänger im Sommer in die reichen Niederlande aufbrach oder als Weber tätig war.

Heuerlinge

Die ärmste Bevölkerungsschicht waren die sogenannten Heuerlinge. Das Wort kommt von heuern = mieten. Heuerlinge stellten ihre Arbeitskraft jeweils für ein Jahr einem großen Bauern zur Verfügung. In der Regel wurde an Silvester ein Vertrag für das neue Jahr abgeschlossen, wobei das Jahr vom 1. Mai bis zum 30. April gerechnet wurde. Vergleichsweise günstige Vertragsbedingungen konnten dabei die Heuerlinge aushandeln, die ihr eigenes Haus besaßen und dies jeweils auf dem Hof des größeren Bauern aufstellen konnten. Die anderen bekamen vom Bauern ein Heuerlingshaus zugewiesen und waren so noch zusätzlich von dem Bauern abhängig.

  • Reker
  • Benser
  • Jost Wegescheid
  • Holländer
  • Kröning Ebbes
  • Lipsmeyer
  • Henrichs
  • Sandtüns
  • Tepper
  • Tabelle 4 Höfe, die vermutlich nach 1672 entstanden und deshalb im Landkataster nicht verzeichnet sind nach einem Höfeverzeichnis von 1802.

Literatur:

Bertelsmeier, Elisabeth: Bäuerliche Siedlung und Wirtschaft im Delbrücker Land, Münster 1942, ND. 1982.

Bertelsmeier, Elisabeth: Siedlungsräume des Delbrücker Landes, Die Warte 25, 1964, S. 82 – 85.

Balzer, Manfred: Grundzüge der Siedlungsgeschichte (800-1800), in Kohl, Wilhelm: Westfälische Geschichte, Bd. 1, S. 232-273.

Engel, Gustav: Herrschaftsgeschichte und Standesrecht – Riege und Hagen, Hausgenossen, Hausgenossenschaften, Malmannen, Bielefeld 1976.


Fußnote

[ 1 ]

Gelegentlich wird die erste Erwähnung auf das Jahr 1374 datiert. Elisabeth Bertelsmeier hatte diese Erwähnung in ihrem Aufsatz zu den Siedlungsräumen des Delbrücker Landes 1964 (Die Warte 24, H.6 S. 85) behauptet. Beim Neuabdruck des Aufsatzes 1977 hat sie diesen “Fehler” jedoch korrigiert

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